Trotzdem muss der bemerkenswerte Bau in den kommenden Jahren einem Neubau weichen - denn das jetzige Rathaus ist PCB-belastet und nicht sanierungsfähig. Es bleibt dennoch aus vielen Gründen ein erinnerungswürdiges Gebäude.
Bedeutung entscheidet über Denkmalwert
Wenn die Denkmalpflege entscheiden muss, ob ein Gebäude besonderen Schutz verdiente, geht es nie darum, ob die Mehrheit der Menschen es für "schön" hält, - weil einfach jede Epoche andere Vorstellungen von Schönheit hat. Es geht allein um die Frage der Bedeutung eines Bauwerks: Ist es wichtig für das Gedächtnis unserer Gesellschaft? Also: Trägt es die typischen Baumerkmale seiner Zeit? Steht es vielleicht für bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen? Ist es von einem namhaften Architekten gebaut worden? Und wichtig ist natürlich auch, ob das Gebäude eine besondere Rolle in der Ortsgeschichte spielt.
Das erste "echte" Rathaus
Bis das heutige Rathaus im Oktober 1973 eröffnet wurde, hatten sich Verwaltung und Rat immer mit Provisorien behelfen müssen: Seit Mitte der 1920er Jahre war die Amts- bzw. später die Stadtverwaltung in einem ehemaligen Hotel untergebracht gewesen, in den 1950er und 60er Jahren hatte man aus Platzgründen einzelne Ämter in bis zu fünf weitere Rathaus-Nebenstellen ausgelagert, – die auch alle eigentlich nicht als Verwaltungsräume gebaut worden waren. Und der Grevener Stadtrat hatte seine Sitzungen aus Platzmangel über 25 Jahre lang im Saal eines Gasthofs abhalten müssen.
Der Bau des neuen und damit ersten "echten" Rathauses war für Rat und Verwaltung in Greven eine Zeitenwende. Die Organe der kommunalen Selbstverwaltung bekamen endlich den Raum und Rahmen, der ihrer Rolle angemessen ist.
Entwurf eines namhaften Architekten
Im Herbst 1968 beschloss der Grevener Rat, einen Architektenwettbewerb für den Neubau eines Rathauses auszuschreiben. Schon im November 1958 hatte der damalige Stadtdirektor Dr. Leo Drost so einen Neubau – oder zumindest die Erweiterung des alten Rathauses – in einer Denkschrift als dringend notwendig beschrieben. Bis die Planungen für das Rathaus tatsächlich in Angriff genommen werden konnten, hatten aber andere städtische Bauten (Gymnasium, Realschule und Freibad) Vorrang gehabt.
Insgesamt 30 Wettbewerbsbeiträge für den Rathausneubau wurden eingereicht. Als Vorsitzenden der Wettbewerbsjury hatte die Stadt den international hoch geachteten Architekten Egon Eiermann gewinnen können. Im Frühjahr 1969 vergab die Jury mit Eiermann den ersten Preis im Rathauswettbewerb für den Entwurf des hannoverschen Architekten Dieter Oesterlen. Dessen Vorschlag wurde als der mit Abstand beste Wettbewerbsbeitrag gewürdigt.
Dieter Oesterlen (1911-1994) hatte in Stuttgart und Berlin studiert und arbeitete seit Kriegsende in seiner Heimatstadt Hannover als freischaffender Architekt. Mit vielgelobten Wiederauf- und Neubauten hatte er das Nachkriegsgesicht der niedersächsischen Landeshauptstadt maßgeblich mitgestaltet. Er hatte unter anderem die zentrale Marktkirche wieder aufgebaut, war am preisgekrönten Bau des Funkhauses des Nord-Westdeutschen Rundfunks am Maschsee beteiligt gewesen – und richtig bekannt geworden war Dieter Oesterlen mit dem Umbau des Leineschlosses in Hannover zum niedersächsischen Landtag. Die LWL-Denkmalpflege bezeichnet ihn als einen „der wichtigsten modernen Architekten der Nachkriegszeit“ in Deutschland. – Auch in diesem Punkt muss man dem Grevener Rathaus also Relevanz bescheinigen. Es ist die Arbeit eines wirklich namhaften Architekten.
Städtebauliche Bedeutung
Genau auf der Nahtstelle zwischen dem historischen Stadtkern mit der Kirche St. Martinus und dem westlich vom Kirchberg in Richtung Ems damals neu entstehenden Stadtviertel wurde das Rathaus errichtet. Wie im Architektenwettbewerb gefordert, gelang Dieter Oesterlen ein Bau, der Alt und Neu wie eine optische Brücke miteinander verbindet: In den Höhen der Gebäudeteile hat Oesterlen das Rathaus so gestaffelt, dass der Kirchturm von St. Martinus in der Stadtsilhouette sichtbar bleibt.
Architektur
Das Grevener Rathaus ist im Stil des sogenannten Brutalismus der 1960er und 70er Jahre gebaut. Der Begriff ist abgeleitet vom französischen „béton brut“. Als einer der Väter dieses Stils gilt der geborene Schweizer und spätere Franzose Le Corbusier.
„Béton brut“ heißt so viel wie „roher Beton“, „Sichtbeton“. Es bezieht sich auf das Hauptmerkmal dieser internationalen Architekturrichtung: große, schnörkellose Bauformen aus pur belassenem Beton. Der Brutalismus stellte sich bewusst gegen die Bauweisen früherer Epochen. Und er verzichtete weitgehend auf regionaltypische Materialien wie zum Beispiel Sandstein oder Klinker. Brutalistische Bauten zeigen einen harten Bruch mit Traditionen. Und sie zeugen damit noch heute vom beherzten Auf-Bruch der modernen Nachkriegsgesellschaften.
Mit dem Beschluss für ein Rathaus in dieser Form für die damals kaum 30.000 Einwohner zählende Stadt Greven setzte der Rat ein durchaus mutiges Zeichen: Er wollte einen modernen und urbanen Bau, der für ein fortschrittliches Gemeinwesen steht.
Symbol und Ortsmarke: Der Plenartrakt
Schon im Entwurf lobte der Vorsitzende der Wettbewerbsjury, Egon Eiermann, den von Dieter Oesterlen geplanten, nach Süden vorgelagerten, aufgeständerten Plenartrakt des Rathauses in den höchsten Tönen: Dieser Ratstrakt könne für Greven „zum einprägsamen Symbol der parlamentarischen Selbstverwaltung werden“.
Tatsächlich ist dieser Teil des Rathauses so gebaut, dass er die Rolle des Stadtparlaments in der modernen bundesrepublikanischen Kommune gut zum Ausdruck bringt: Der gewählte Rat ist eigenständig in seinen Entscheidungen, unabhängig von der Verwaltung. Und dadurch, dass der Ratstrakt in gewisser Weise „schwebt“ und aus dem übrigen Rathaus „herausragt“, bekommt diese Definition eines unabhängigen parlamentarischen Selbstbewusstseins ihre gelungene bauliche Entsprechung.
In der öffentlichen Meinung kam der neue Plenartrakt auf Stelzen sofort gut an. Kurz nach der Einweihung des Rathauses schrieben die Westfälischen Nachrichten, er sei „das architektonische Wahrzeichen Neu-Grevens“ . Später wurde dieser Gebäudeteil in grafischer Form in das offizielle und über viele Jahre benutzte Logo der Stadt Greven integriert. – Auch dieses Logo spricht dafür, dass viele Grevenerinnen und Grevener in dem Ratstrakt eine Art Ortsmarke und „Identifikationspunkt" sahen und bis heute sehen.
Das unvollendete Rathaus
Eigentlich war in den Plänen des Architekten Oesterlen fest vorgesehen, dass die fensterlose Südfront des Plenartrakts, die zur Rathausstraße liegt, mit „Kunst am Bau“ bestückt werden sollte. Dieter Oesterlen favorisierte nach dem Wettbewerb dreier Künstler den Entwurf für eine Lichtinstallation des auch als „Nagelkünstler“ bekannten Düsseldorfer Bildhauers und Grafikers Günther Uecker. – Im Architektenmodell, das noch heute im Rathaus ausgestellt wird, ist das Uecker-Kunstwerk tatsächlich im Miniaturmaßstab zu bestaunen. In der Realität wurde es aber nicht verwirklicht: Bei der Abstimmung im Rat im Januar 1972 bekam die Uecker-Installation zwar die meisten Stimmen, aber nicht die notwendige Mehrheit. Die Realisierung der 75.000 DM teuren Kunst scheiterte letztlich an einer einzigen fehlenden Stimme.
Hohe Funktionalität und ein "leichter Umgang mit Beton"
Viel Lob für seine elegante Funktionalität im Inneren bekam schon zur Erbauungszeit des Rathauses auch der viergeschossige mittlere Gebäudeteil. Dort finden sich Haupteingang und Rathausfoyer mit dem zentralen verbindenden Lichthof und Treppenhaus. Um dieses Treppenhaus herum wurden die Ämter mit viel Publikumsverkehr angeordnet. – Die Wege, die die meisten Benutzer gehen mussten, sollten also sinnvollerweise möglichst kurz gehalten werden. Zur Erbauungszeit waren hier unter anderem das Einwohnermeldeamt untergebracht, das Sozialamt, die Stadtkasse, das Standesamt – und das Arbeitsamt, und damit auch ein nicht-städtisches Amt. Die entsprechenden Räume im 3. Obergeschoss wurden von der Stadtverwaltung an die Arbeitsvermittlung vermietet. Das ging, denn anfangs verfügte das Rathaus über erhebliche Raumreserven.
Die Architektur- und Denkmalexpertin Anne Schmedding, die 2011 eine Monographie über die Bauten des Architekten Dieter Oesterlen veröffentlicht hat, findet diesen Teil des Grevener Rathauses besonders stimmig. Sie lobt, das Rathausfoyer habe „trotz des dominierenden Sichtbetons […] und des grauen Natursteinbodens eine überraschend einladende und warme Atmosphäre. Im Vergleich zu anderen Rathäusern der späten 60er und frühen 70er Jahre ist Oesterlen hier ein beeindruckendes Beispiel für den leichten Umgang mit Beton gelungen“, so Anne Schmedding.
Denkmalwert auch in den Details
Außer den schon genannten Punkten – der stadtgeschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung, seinem namhaften Erbauer und der stimmigen Gestaltung im Stil des Brutalismus – finden die LWL-Denkmalexperten bemerkenswert, dass das Rathaus in seinen gut fünfzig Jahren außen wie innen kaum umgebaut und auch in den zeittypischen Ausstattungsdetails fast nicht verändert worden ist. Ausdrücklich heben sie den originalen Natursteinboden in der Eingangshalle hervor, die bauzeitlich schlichten PVC-Böden und Holztüren, Mobiliar, Wandvertäfelungen und Leichtmetallfenster. Das Trauzimmer sei noch „in situ“ erhalten, mitsamt der „auffälligen, wie eine Tresortür aus der Wandflucht hervortretenden Stahltür“ als Besonderheit.
Das Rathaus im Urteil der Zeitgenossen
Offiziell eingeweiht wurde das Rathaus am 26. Oktober 1973. Und am darauf folgenden Sonntag durfte dann auch die breite Öffentlichkeit den Bau beim „Tag der offenen Tür“ begutachten. Nach Zeitungsangaben nahmen rund 7000 Grevenerinnen und Grevener die Einladung an. Über beide Anlässe wurde in der Grevener Lokalpresse ausführlich berichtet. Die Münstersche Zeitung schrieb, mit dem modernen Rathaus habe Greven „ein Gebäude von großer Repräsentanz als Mittelpunkt einer neuen City“ bekommen, es sei eine „bauliche Bereicherung der Stadt“. Die Westfälischen Nachrichten ergänzten, es gebe allerdings auch Stimmen in der Bürgerschaft, die sich „gegen die repräsentative Aufwendigkeit des neuen Bauwerks“ aussprächen. Und einige Tage nach der Eröffnung beschäftigte sich die Münstersche Zeitung in einer Wochenglosse noch einmal ausführlich mit dem Rathaus: Da heißt es, die Meinungen über den Neubau gingen „erwartungsgemäß auseinander“. „Nicht anfreunden“ könnten sich „viele Bürger unserer Stadt mit den zahlreichen grauen Sichtbeton-Elementen, die ihnen zu trist erscheinen“.
Doch gerade diese als streng und kühl empfundene Bauweise macht das Grevener Rathaus heute zu einem besonderen Zeugnis seiner Entstehungszeit Ende der 1960er Jahre: Die späten 60er waren eine Zeit der demonstrativen Modernisierung auf allen Ebenen, eine Aufbruchzeit, die mit vielen lange geübten gesellschaftlichen Normen und Gepflogenheiten endgültig und radikal brach. Der Brutalismus setzte diesen Ab- und Umbruch in Architektur um. Er versuchte etwas völlig Neues, verzichtete weitgehend auf regionaltypische Materialien und machte keinerlei optische Anleihen bei historischen Baustilen. – Er setzte also überhaupt nicht darauf, ein Gefühl der Vertrautheit oder „Volkstümlichkeit“ zu schaffen. Zugespitzt für das Grevener Rathaus heißt das: Emotionen oder gar Ideologien sollten in der sachorientierten Arbeit von Verwaltung und Stadtparlament in der bundesrepublikanischen Gegenwart um 1970 keine Rolle mehr spielen. Damit ist das Grevener Rathaus gebautes Zeugnis der demonstrativen Erneuerungsbewegung, die die westlichen Nachkriegsgesellschaften spätestens Ende der 1960er Jahre auf allen Ebenen erfasste.
Picasso im Rathaus
Seit Oktober 2016 beherbergt der Kleine Sitzungssaal des Rathauses den Bilderzyklus Diurnes von Pablo Picasso. Die Mappe, die 30 Arbeiten enthält, wurde der Stadt von dem Grevener Kunstsammler Rudolf Lauscher als Leihgabe zur Verfügung gestellt.
Die Diurnes entstanden 1962 und stellen eine Besonderheit im Schaffen des großen Künstlers dar. Sie sind eine Gemeinschaftsarbeit von Picasso mit dem Photographen André Villers, den Picasso sehr schätzte. Von ihm stammen die Fotografien, die den Hintergrund für die Werke bilden. Picasso hat darüber Scherenschnitte gelegt. Der berühmte französische Dichter Jacques Prévert schrieb dazu einen poetischen, surreal anmutenden Text.
Zu ausgewählten Terminen ist die Ausstellung für die Öffentlichkeit zugänglich.
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Bildnachweise
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- F. Thomas/Stadtarchiv Greven
- H. Eick/Stadtarchiv Greven
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- H. Eick/Stadtarchiv Greven
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- Jannis Beckermann